Hannes Pohlit zu seinem TANGO-CONCERTO
Am argentinischen Tango liebe ich die Emotionalität und Vitalität der Musik, die reiche chromatische Harmonik und weitgespannte Melodik, den bitteren Ernst und die Theatralik, die ihre Traurigkeit aus einer nostalgischen, mit der Gegenwart hadernden Lebenseinstellung speist. „Tiempo viejo, ¿donde estas?“ („Alte Zeit, wo bist Du hin?“) fragt der Dichter Alfredo Le Pera in einem Tango-Cancion der 1930er Jahre und heute können wir diese noch Frage genauso stellen. Meine erste Berührung mit dem argentinischen Tango war 1999, als ich während meines Studiums nebenher als Arrangeur für den in Paris lebenden, aus Buenos Aires stammenden Komponisten Jorge Zulueta arbeitete und drei seiner Tango-Opern für Produktionen am Landestheater Detmold, bei den Festwochen Herrenhausen und beim WDR Köln orchestrierte. Auf diese Weise lernte ich diese musikalisch-poetische Welt aus erster Hand kennen. Mehrere Jahre später habe ich diese Erfahrungen kompositorisch adaptiert und Tango-Cancions von Carlos Gardel (1890-1935) in 13 Klavier-Paraphrasen in einen romantischen Salonstil exportiert. Dieses Verfahren nannte ich „klassisches Crossover“, weil ich zum Crossover – anders herum als üblich – als „Klassiker“ kam auf der Basis romantischer Harmonik und Form. Die Idee eines Tango-Klavierkonzertes habe ich etwa 10 Jahre lang mit mir herumgetragen, bis das Grundkonzept dann 2020/21 während der Corona-Lockdowns Gestalt annahm. Es macht mir Freude, den eleganten und virtuosen Salonstil wiederzubeleben, der der Blütezeit der Klaviermusik entstammt, und ich möchte meine Tango-inspirierte Musik in der Tradition der Klavierkonzerte Sergei Rachmaninoffs (1873-1943) und Moritz Moszkowskis (1854-1925) sehen. Unter den Tango-Komponisten der „goldenen Ära“, die mich dabei beeinflusst haben, darf ich vor allem Carlos Gardel, Francisco Canaro und Aníbal Troilo nennen. Die Grundtonart des Tango-Concertos ist g-moll. Wie ein traditionelles Solokonzert besteht das Stück aus drei Sätzen, wobei der erste Satz, in dem das Klavier ganz im Vordergrund steht und „träumend“ vom Orchester begleitet wird, fast die Hälfte der Gesamtdauer ausmacht. Wie Rachmaninoff sich für die Form seines 1. Klavierkonzertes das A-Moll-Konzert von Edvard Grieg zum Vorbild genommen hatte, habe ich den ersten Satz nach dem Modell seines Fis-Moll-Konzertes aufgebaut, weil ich mein Werk in diese Traditionslinie stellen wollte. Ab dem zweiten Satz treten in unserer Aufführung die Tango-Tänzer auf und eröffnen mit ihrem Tanz eine weitere Ebene des Dialogs in der Musik. In diesem Satz wollte ich Stimmungen einer Milonga einfangen, die gedämpfte Beleuchtung und gespannte Atmosphäre, die Vereinigung des Paares und seine Suche nach einer gemeinsamen Balance. So wechselt in den Variationen des Mittelteils auch das Metrum von 4/8-Takt (Tango) zum 3/8-Takt (Tango-Vals) und wieder zurück und wir, das Orchester und der Solist, begleiten die Tänzer auf ihrem Weg. Der dritte Satz ist geprägt vom trippelnden Schwung der Milonga, des schnellen, lebhaften Tango-Stils. Hier kommt nun besonders das rhythmische Element zum Zuge und das Zusammenspiel wird zu einer Konfrontation zwischen Soloinstrument und Orchester – mit Happy end.
Als Auftragswerk zum 60jährigen Bestehen des Leipziger Symphonieorchesters – und zugleich vielleicht auch als ein Beitrag zum 150. Geburtstag des berühmten russischen Klavier-Komponisten – ist das Tango-Concerto dem Dirigenten und ehemaligen Intendanten Wolfgang Rögner, der dieses Projekt mit großem Engagement ermöglicht hat, herzlich gewidmet.
Hannes Pohlit, August 2023
Am argentinischen Tango liebe ich die Emotionalität und Vitalität der Musik, die reiche chromatische Harmonik und weitgespannte Melodik, den bitteren Ernst und die Theatralik, die ihre Traurigkeit aus einer nostalgischen, mit der Gegenwart hadernden Lebenseinstellung speist. „Tiempo viejo, ¿donde estas?“ („Alte Zeit, wo bist Du hin?“) fragt der Dichter Alfredo Le Pera in einem Tango-Cancion der 1930er Jahre und heute können wir diese noch Frage genauso stellen. Meine erste Berührung mit dem argentinischen Tango war 1999, als ich während meines Studiums nebenher als Arrangeur für den in Paris lebenden, aus Buenos Aires stammenden Komponisten Jorge Zulueta arbeitete und drei seiner Tango-Opern für Produktionen am Landestheater Detmold, bei den Festwochen Herrenhausen und beim WDR Köln orchestrierte. Auf diese Weise lernte ich diese musikalisch-poetische Welt aus erster Hand kennen. Mehrere Jahre später habe ich diese Erfahrungen kompositorisch adaptiert und Tango-Cancions von Carlos Gardel (1890-1935) in 13 Klavier-Paraphrasen in einen romantischen Salonstil exportiert. Dieses Verfahren nannte ich „klassisches Crossover“, weil ich zum Crossover – anders herum als üblich – als „Klassiker“ kam auf der Basis romantischer Harmonik und Form. Die Idee eines Tango-Klavierkonzertes habe ich etwa 10 Jahre lang mit mir herumgetragen, bis das Grundkonzept dann 2020/21 während der Corona-Lockdowns Gestalt annahm. Es macht mir Freude, den eleganten und virtuosen Salonstil wiederzubeleben, der der Blütezeit der Klaviermusik entstammt, und ich möchte meine Tango-inspirierte Musik in der Tradition der Klavierkonzerte Sergei Rachmaninoffs (1873-1943) und Moritz Moszkowskis (1854-1925) sehen. Unter den Tango-Komponisten der „goldenen Ära“, die mich dabei beeinflusst haben, darf ich vor allem Carlos Gardel, Francisco Canaro und Aníbal Troilo nennen. Die Grundtonart des Tango-Concertos ist g-moll. Wie ein traditionelles Solokonzert besteht das Stück aus drei Sätzen, wobei der erste Satz, in dem das Klavier ganz im Vordergrund steht und „träumend“ vom Orchester begleitet wird, fast die Hälfte der Gesamtdauer ausmacht. Wie Rachmaninoff sich für die Form seines 1. Klavierkonzertes das A-Moll-Konzert von Edvard Grieg zum Vorbild genommen hatte, habe ich den ersten Satz nach dem Modell seines Fis-Moll-Konzertes aufgebaut, weil ich mein Werk in diese Traditionslinie stellen wollte. Ab dem zweiten Satz treten in unserer Aufführung die Tango-Tänzer auf und eröffnen mit ihrem Tanz eine weitere Ebene des Dialogs in der Musik. In diesem Satz wollte ich Stimmungen einer Milonga einfangen, die gedämpfte Beleuchtung und gespannte Atmosphäre, die Vereinigung des Paares und seine Suche nach einer gemeinsamen Balance. So wechselt in den Variationen des Mittelteils auch das Metrum von 4/8-Takt (Tango) zum 3/8-Takt (Tango-Vals) und wieder zurück und wir, das Orchester und der Solist, begleiten die Tänzer auf ihrem Weg. Der dritte Satz ist geprägt vom trippelnden Schwung der Milonga, des schnellen, lebhaften Tango-Stils. Hier kommt nun besonders das rhythmische Element zum Zuge und das Zusammenspiel wird zu einer Konfrontation zwischen Soloinstrument und Orchester – mit Happy end.
Als Auftragswerk zum 60jährigen Bestehen des Leipziger Symphonieorchesters – und zugleich vielleicht auch als ein Beitrag zum 150. Geburtstag des berühmten russischen Klavier-Komponisten – ist das Tango-Concerto dem Dirigenten und ehemaligen Intendanten Wolfgang Rögner, der dieses Projekt mit großem Engagement ermöglicht hat, herzlich gewidmet.
Hannes Pohlit, August 2023